Die Istanbul Technical University, Turkish Music State Conservatory, Musicology Department lädt zum Symposium “Music and Sciences” ein. Das Symposium soll ein breites Spektrum unterschiedlicher Disziplinen von den Sozial- und Geisteswissenschaften bis hin zu den Ingenieur- und Naturwissenschaften zusammenbringen, die interdisziplinären Forschungsfelder, die Überschneidungen mit der Musik haben, verstärken und erweitern und Inspirationen für neue musikalische Fragestellungen ermöglichen.

Abstrakt

In den 1960er und 1970er Jahren hatten türkische Popmusiker eine schwere Aufgabe: Neben dem Musikmachen mussten sie ihre Musik promoten, indem sie in Yeşilçam-Filmen auftraten, ihre Musik in Filmen oder in Fernsehshows spielten, in Fotoromanen oder als Modemodelle auftraten und für verschiedene Arten von Werbefotos posierten. All dies, um Images türkischer Popmusik zu schaffen, nicht nur als visuelles Gegenstück zur Musik, sondern vielmehr als integraler Bestandteil dessen, was Diedrich Diederichsen “Popmusik” nennt: ein multimediales Phänomen, das sich in verschiedenen Medien entfaltet.

Unser Forschungsprojekt zielt darauf ab, die visuellen Kommunikationsstrategien zu untersuchen, die um und mit der Musik entwickelt werden. Einige der Hauptmerkmale sind verschiedene Arten von visuellen Hybriden, die urbane und ländliche, östliche und westliche Elemente, Codes von Folk- und Rockmusik, Codes von akustischer und elektrischer Musik, Glamour und Non-Glamour in Interieurs, Mode und Lebensstil mischen.

Der visuelle Hybridismus spiegelt und verstärkt einen musikalischen Hybridismus, der aus einer Verschmelzung verschiedener Musikstile resultiert, die oft selbst schon ein musikalischer Hybrid sind, wie anatolischer Rock, Arabesk oder Belly Dance Music. Die türkische Popmusik tendiert sogar zu Multi-Hybriden, mit Türkü als zugrundeliegendem Fundament, einem Repertoire an standardisierten Volksmusikliedern.

Die Türkei hatte eine der größten und stärksten unabhängigen Musikindustrien mit einem eigenen stabilen Markt. Diese Industrie produzierte auch das einzige nicht-westliche wöchentliche Popmusik-Magazin namens Hey, das über zwei Jahrzehnte lang erschien und zumindest in den 1970er Jahren viel mehr türkische als westliche Künstler präsentierte. Viele von ihnen waren männlich, und die männlich dominierte türkische Popmusik-Geschichtsschreibung neigt dazu, eine wesentliche Tatsache zu übersehen: “Es waren Frauen, die den Sound der Ära in Bezug auf Quantität und oft auch Qualität schufen”, wie Kornelia Binicewicz kürzlich feststellte. Ein Schwerpunkt wird daher auf der weiblichen Seite der Images türkischer Popmusik liegen.

Der türkische Musikjournalist Murat Meriç hat in seiner Vortragsreihe “Yerli Müzik” gezeigt, wie eng Popmusik und Politik in der Türkei miteinander verwoben gewesen sind. Politische Positionen wurden natürlich nicht nur auditiv (Wahl des Genres, des Komponisten, der Texte etc.), sondern auch visuell kommuniziert, wodurch ein hochgradig kodiertes Feld von manchmal verwirrenden oder sogar widersprüchlichen Aussagen entstand, wie z.B. progressive lange Haare vs. konservative Kleider im osmanischen Stil (Barış Manço, Edip Akbayram). Neben der Geschlechterfrage stehen daher auch politische Fragen im Fokus.
In den letzten Jahren konnten wir eine Sammlung von türkischen Schallplatten, eine Sammlung von Hey-Magazinen und eine Sammlung von digitalisierten türkischen Filmen aufbauen. Da es laut Selçuk Artut “keine Archivkultur in der Türkei” für die Geschichte der Popmusik gibt, kann unser multimediales Archiv als Grundlage und Ausgangspunkt für unsere zukünftige Forschung, aber auch für eine ästhetische Transformation dienen: Anstatt das visuelle und audiovisuelle Material einfach nur zu reproduzieren, wollen wir, dass Designer*innen und Künstler*innen es mit einem zeitgenössischen Ansatz neu interpretieren, indem sie dem ständigen Remixen als “eine Art Leitmotiv in der türkischen Kultur” (Binicewicz) folgen und aktuelle Gender- und politische Fragen berücksichtigen. Diese Neuinterpretation wird ein zentraler Teil des Projekts sein und dessen Ergebnisse in Publikationen, Ausstellungen und Vorträgen bestimmen.

Ein Forschungsprojekt von Cornelia Lund (fluctuating images, Berlin), Holger Lund (DHBW Ravensburg), Mona Mahall (HafenCity Universität Hamburg), Asli Serbest (HfK Bremen), Banu Çiçek Tülü (HFBK Hamburg); mit Lukas Yves Jakel und Johannes Kuhn (Hamburg, Alumni Mediendesign-Studenten, DHBW Ravensburg), sowie Vanessa Brotzmann, Iris Ott und Katinka Sacher (Mediendesign-Studenten, DHBW Ravensburg)

 

Mehr Informationen:

http://turkish-pop-music-images.org/eng-2/
http://www.musicandsciences.itu.edu.tr/en/homepage

 

Online Veröffentlichung:
Cornelia Lund, Holger Lund und Banu Çiçek Tülü, mit einer Videocollage von Asli Serbest und Mona Mahall, “Turkish Pop Music Images. Die Musik und ihr Kommunikationsdesign: Plattencover, Fotos & Plakate & Anzeigen in Magazinen, Kinoplakate, Musikperformances in Filmen & Clips 1960er – frühe 1980er Jahre”, in: İstanbul Teknik Üniversitesi Türk Musikisi Devlet Konservatuarı (eds.), International Music and Sciences Symposium Proceedings, Istanbul: Istanbul Technical University Press, 2019, pp. 469-477.

 

http://www.tmdk.itu.edu.tr/haberdetay//2019/07/31/uluslararasi-muzik-ve-bilimler-sempozyumu-bildirileri

http://www.tmdk.itu.edu.tr/docs/librariesprovider5/kitap-i-%C3%A7erik/muzikvebilimler2019.pdf

http://www.musicandsciences.itu.edu.tr/en