In den letzten Jahren wurden hochmoderne Technologien zunehmend in aktivistischen und dekolonialen Kontexten eingesetzt, um hegemoniale Mainstream-Narrative in Frage zu stellen, von einer digitalen Kuppel-Dokumentation über Klimaverbrechen (Adrian Lahoud, Michaela French, 2018) bis hin zu GoPro-Kameras in CBT (Coding: Braiding: Transmission; 2017) von Isaac Kariuki und Tamar Clarke-Brown.

Der Vortrag konzentriert sich auf einen bestimmten Teil dieser breiteren Produktion, die aus einem afrikanischen Kontext kommt – Afrika verstanden als kultureller Raum einschließlich der Diaspora (Mbembe 2010) – und VR nutzt, um historisch etablierte, hegemoniale Narrative zu konterkarieren, die von kolonialen Denkweisen geprägt sind. Die Produktion begann etwa 2017 und war mit der Überzeugung verbunden, dass VR als neue Technologie weltweit gleiche Bedingungen für afrikanische Filmemacher*innen schaffen würde (Dahir 2017). Von Anfang an wurde es auch als eine Möglichkeit gesehen, Räume für unterrepräsentierte Narrative zu öffnen, wie das in Kapstadt ansässige Electric South Lab in seinem Mission Statement betont.

Untersucht wird daher, wie Kurzfilme und immersive Projekte die VR-Technologie nutzen, um dekoloniale Gegennarrative, Gegengeschichten und Gegenkonzepte des Wissens zu entwickeln. Allein der Einsatz neuester Technologie stellt bereits den kolonialen Mythos der zeitlosen, traditionellen afrikanischen Gesellschaft (Mbembe 2010) in Frage sowie die Verweigerung der selbstbestimmten Teilhabe an technologischen Entwicklungen für afrikanische Gemeinschaften (McIlwain 2020).

Durch die Analyse von Projekten wie Premium Connect (Real Deal; 2017) von Tabita Rezaire, NeuroSpeculative AfroFeminism (2017) von Hyphen Labs oder The Subterranean Imprint Archive (2021) von Lo-Def Film Factory vor dem Hintergrund von theoretischen Ansätzen zur Gegenwissensproduktion (Babias/Nkdikung et al. 2015) und der dekolonialen Medienwissenschaft (Moyo 2020) wird der Vortrag zeigen, wie der Einsatz von VR-Technologie mit ästhetischen Gegenstrategien (z.B. Reminiszenzen an Afrofuturismus, spekulatives Storytelling), neuester neurowissenschaftlicher oder technologischer Forschung verwoben wird, um über die Entstehung der Computerwissenschaften oder das Erbe der Technopolitik in Afrika zu reflektieren.

 

Cornelia Lund ist Kunst-, Film- und Medienwissenschaftlerin sowie Kuratorin. Seit 2004 ist sie Ko-Direktorin von fluctuating images (Berlin), einer Plattform für Kunst und Mediendesign. Sie war Mitarbeiterin in einem DFG-Projekt zur Geschichte des dokumentarischen Films in Deutschland an der Universität Hamburg, zudem seit mehreren Jahren Dozentin für Medienwissenschaft, Designtheorie und Designgeschichte u.a. an der FH Vorarlberg, Dornbirn, der HAW Hamburg, der HU Berlin, der HTW Berlin und der HfK Bremen.
2018-2019 war sie Projektkuratorin des von der Kulturstiftung des Bundes geförderten Ausstellungsprojektes “Connecting Afro Futures. Fashion – Hair – Design” am Kunstgewerbemuseum Berlin. Seit 2021 ist sie Research Fellow an der Hochschule für Künste Bremen.
Cornelia Lund ist Teil des Netzwerkes Forum Antirassismus Medienwissenschaft, des Netzwerkes Besides the Screen und war 2014-2018 Mitglied von DokArt Hamburg.
Sie ist, zusammen mit Holger Lund, Ko-Herausgeberin von Audio.Visual – On Visual Music and Related Media (Arnoldsche, 2009), Design der Zukunft (AV Edition, 2014) sowie lundaudiovisualwritings (2017). Sie ist zudem Ko-Herausgeberin und Autorin von The Audiovisual Breakthrough (2015), der Online-Plattform Post-digital Culture (2015-fortlaufend), Connecting Afro Futures (2019). Ihre Arbeit als Kuratorin umfasst zahlreiche Screenings und Ausstellungen.