»Parallelgesellschaften« in populärer Musik? Abgrenzungen – Annäherungen – Perspektiven

In der öffentlichen Rede, in politisch-populistischen Debatten und in massenmedialen Berichten ist »Parallelgesellschaft« ein seit Jahren viel strapazierter Begriff. Mit seiner Geschichte politischer Instrumentalisierung geht die Gefahr von Affirmation gesellschaftlicher Ungleichheitsverhältnisse einher. Die Beiträge des Bandes setzen sich im Kontext populärer Musik mit parallel bestehenden, scheinbar unverbundenen Strukturen, Begriffen und Konzepten auseinander. Neben einem Blick auf die deutsch-deutsche Entwicklungsgeschichte der Popular Music Studies werden pop-kulturelle Differenzparadigmen u.a. aus musikwissenschaftlicher, musiksoziologischer, ethnomusikologischer und juristischer Sicht kritisch aufgearbeitet.

Grenzziehungen – zum Umgang mit türkischer Popmusik in Deutschland von den 1960er-Jahren bis heute

Der Umgang mit türkischer Musik und insbesondere mit türkischer Popmusik in der Bundesrepublik Deutschland ist seit den 1960er Jahren, d.h. seit einer starken türkischen Präsenz durch das Anwerbeabkommen, durch verschiedene Abgrenzungsmechanismen gekennzeichnet. In diesem Beitrag möchten wir für den Zeitraum von den 1960er Jahren bis heute den Fragen nachgehen, wo diese Mechanismen greifen, von wem und wie sie argumentiert werden, aber auch wie sie sich im Laufe der Zeit verändern.
Da musikalische Abgrenzung kein rein musikalisches Phänomen ist, sondern auch damit zusammenhängende soziale Aspekte berücksichtigt werden müssen, werden wir zunächst soziale und kulturelle Abgrenzungsphänomene in der deutschen Gesellschaft, insbesondere im Hinblick auf Migrantengemeinschaften, betrachten. Anschließend wird eine Reihe von Kernfragen verfolgt, die sich auf die türkische Musik und ihr Publikum, auf musikalische Funktionen und den Musikmarkt sowie auf die jeweiligen Bewertungen türkischer Musik in Deutschland beziehen. Begleitet werden diese Fragen von einer Untersuchung überwiegend musikbezogener Aspekte der deutschen Migrationspolitik.
Die Beantwortung unserer Kernfragen führte zu einer Kritik an musikbezogenen Aspekten der deutschen Migrationspolitik. Sie führten aber auch zu einer Kritik am institutionellen Umgang mit türkischer Musik in Deutschland. Eines der größten Probleme ist aus unserer Sicht, und das zeigt auch das Phänomen der Selbstausgrenzung sehr deutlich, der fehlende Diskurs, die fehlende historiographische Überlieferung und der fehlende strukturierte Zugang zu kulturellen Ausdrucksformen von Migranten.
Mit Hilfe eines vorwiegend diskursanalytischen Ansatzes, der sich vor allem auf Aussagen aus Politik, Wissenschaft, Journalismus und Musikpraxis stützt, wird in diesem Beitrag die Wirkungsweise des Ausschlussmechanismus über die Jahrzehnte hinweg analysiert.