Information zum Beitrag:
Sah Friedrich Kittler Rockmusik als „Missbrauch von Heeresgerät“, so könnte man Techno und andere populäre Musikstile der 1980er und 1990er-Jahre als fundiert auf dem Missbrauch der Roland TB 303 Bass Line begreifen. Dieses Instrument sollte es erlauben, auf elektronisch-synthetischem Wege Basslinien zu erstellen, ohne dass dafür mühevoll ein Instrument erlernt zu werden brauchte. Als Interface wurde nicht ein Griffbrett, sondern eine Keyboard-Tastatur mit Filterreglern gewählt. Die Unklarheiten des Gebrauchs und die unkonventionelle Spielweise führten zunächst dazu, dass das Instrument sich als kommerzieller Flop erwies. An dieser Stelle kommt der kreative Missbrauch ins Spiel. Für die Entwicklung von Basslinien ungeeignet bzw. zu kompliziert, ließen sich aus der TB 303 jedoch ganz neue, ungehörte Klänge herausmanipulieren. Diese klangen dann zwar überhaupt nicht nach einem Bass, dafür jedoch nach jenen spacig-maschinellen Sounds, welche die Musik der 1980er und 1990er-Jahre für ihre Klangästhetik gesucht hatte. Die TB 303 wurde dabei eher als eine Art Synthesizer eingesetzt, als der sie jedoch keinesfalls gedacht war.
Dank des missbräuchlichen Einsatzes wurde so letztlich aus dem kommerziellen Misserfolg ein ästhetischer Erfolg, der Roland 1996 zu einer Neuauflage, der MC 303 Groovebox, bewegte, welche dann ihrerseits, nicht als Bass-Instrument, sondern als künstlich-digitale TB 303-Simulation, ein erheblicher kommerzieller und ästhetischer Erfolg wurde. Der Beitrag fokussiert anhand von Video- und Klangbeispielen auf die Geschichte der intendierten und missbräuchlichen Nutzung der TB 303. Verschiedene Kreativitäts- und Innovationstheorien bilden dabei einen kontextuellen Rahmen.
Der Text ist die schriftliche Fassung eines Vortrages, gehalten auch im Studiengang Mediendesign: https://www.mediendesign-ravensburg.de/no-bass-2/

 

Information zum Buch:
Mit Artefakten verbinden wir konkrete Bedeutungen und Funktionen. Als Werkzeuge dienen sie unserem täglichen Handeln. Welche Folgen aber hat es, wenn sie „unsachgemäß“ gebraucht werden? Wie überhaupt unterscheiden sich „sachgemäße“ und „unsachgemäße“ Verwendungsweisen? Anhand von Fallstudien aus verschiedenen thematischen Kontexten und disziplinären Perspektiven nimmt der Band ein weites Spektrum von Praktiken in den Blick, die um die Frage der Zweckentfremdung kreisen. Gemeinsamer Ausgangspunkt ist jenes Spannungsverhältnis, das sich in der Redeweise von der Zweckentfremdung abzeichnet: Einerseits verbinden wir mit ihr Regelverletzungen und Normüberschreitungen. Andererseits ist es der ›unsachgemäße‹ Gebrauch, der am Beginn eines explorativen Umgangs mit Artefakten steht und neue Bedeutungen und Lesarten ermöglichen hilft. Ziel dieses Bandes ist es, das kreative und wissensstiftende Potenzial freizulegen, das sich mit solchen Gebrauchsweisen verbindet.

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