Aura der Klangskulptur: Die Vinylschallplatte als Zeichen- und Handlungsträger gesellschaftlicher Transformationen in der Digitalisierung

Im Zentrum des Vortrags soll die sog. Vinylkultur stehen, die trotz der sehr weitreichenden Marktdurchdringung von CD, DVD, MP3 und Streaming-Diensten die (Vinyl-) Schallplatte als Speicher- und Wiedergabemedium wie auch als Devotionalobjekt wiederentdeckt hat. Dabei geht es um die Frage, ob und wie sich Schallplatte und Plattenspieler nach ihrer “Wiedergeburt” bei gleichgebliebener materieller Grundlage verändert haben, in welche neuen Handlungspraktiken sie eingebunden sind, wer die Akteur*innen dieser neuen Praktiken sind und welche sozialen und historischen Verschiebungen sich in dieser Rückwendung zur Vinylschallplatte dokumentieren.

Seit Mitte der 2000er-Jahre re-etabliert sich die Vinylschallplatte in einem robusten und dynamischen Nischenmarkt. Das Sammeln von Schallplatten war als soziale Praxis zwar niemals verschwunden, hat inzwischen aber auch jüngere Digital Natives erreicht. Kunstformen wie Turntablism und spezielle performativ-soziokulturelle Praktiken wie das DJing hatten das Speicherfomat Vinylschallplatte stets bewahrt. Hinzu kommt ein (teilweise mythisch aufgeladener) technischer Diskurs rund um klangliche Überlegenheit.

Reynolds (2012) sieht in diesem Zusammenhang einen kulturellen Retrotrend („Retromania“) sowohl musikalisch-inhaltlicher Art (Rückgriff auf alte Formen des musikalischen Ausdrucks) als auch formaler Art (nostalgischer Rückgriff auf alte Datenträger). Die gesellschaftliche Perspektive einer solchen Retrospektive in politisch und technologisch unsicheren Umbruchszeiten ist keineswegs außer Acht zu lassen. Das popkulturell formierte Objekt Schallplatte enthält also Bedeutungen und bedingt Praktiken, die über die in seine Materialität eingeschriebenen Inhalte weit hinausgehen. Form und Inhalt fallen auseinander. Der Vinylschallplatte als Materialobjekt scheint eine Aura innezuwohnen, sie scheint als zeichenhafter Mythos des Alltags auffassbar zu sein, sie zieht menschliche Handlungen nach sich, die sowohl individueller wie auch gesellschaftlich-kollektiver Art sein können.

 

Weitere Informationen:
http://www.zemki.uni-bremen.de/de/veranstaltungen/tagungen/digitale-kommunikation-und-kommunikationsgeschichte-perspektiven-potentiale-problemfelder.html